Verwaltungsgericht Münster, 9 K 1076/07

Datum: 20.05.2009
Gericht: Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper: 9. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 9 K 1076/07
Rechtskraft: rechtskräftig
Tenor: Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

In dem Verwaltungsrechtstreit wegen Untersagung von Äüßerungen  hat  die
Richterin am Verwaltungsgericht von Grabe
aufgrund der mündlchen Verhandlung am 20. Mai. 2009 für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen


Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in entsprechender Hohe Sicherheit leistet.

Tatbestand
Die Klägerin ist im Bereich der Windenergienutzung gewerblich tätig und deshalb Pflichtmitglied der Industrie- und Handelskammer Nord-Westfalen (IHK NW). Die IHK NW, die Beklagte, ist Mitglied beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Die Klägerin wendet sich dagegen, dass der DIHK sich in Veröffentlichungen, Presseerklärungen und auf seiner Homepage gegen bestimmte Maßnahmen der Klimaschutz- und Umweltpolitik sowie auch zum Atomausstieg ausgesprochen hat. Darüber hinaus habe sich auch der Präsident Braun in einem Zeitungsinterview allgemeinpolitisch zur Regierungspolitik geäußert.

Die Klägerin ist der Auffassung, diese Stellungnahmen seien einseitig und ohne Zusammenhang zu den Aufgaben der IHK erfolgt. Diese sei gehalten "für alle die beste Lösung zu suchen". Deshalb seien diese öffentlichen Meinungsäußerungen von der Klägerin, als Pflichtmitglied der IHK, nicht hinzunehmen.

Sie beantragt,
           I. die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu erklären und
           II. es zu unterlassen, sich
1.) gegen die Erhöhung des Marktanteils erneuerbarer Energien,
2.) gegen den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie,
3.) gegen die aktuelle Klimaschutzpolitik der Bundesregierung
3a) und insbesondere gegen die Umsetzung des Kyoto-Protokolls auszusprechen."

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Weder habe die Klägerin einen Anspruch darauf, dass die IHK NW aus dem DIHK austritt, noch stehe ihr ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich bestimmter Äußerungen zu. Der DIHK habe entsprechend § 1 Abs. 1 seiner Satzung "in allen das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft im Bereich des DIHK betreffenden Fragen einen gemeinsamen Standpunkt der IHK zur Geltung zu bringen, insbesondere ihre Interessen gegenüber Behörden und sonstigen Instanzen des Bundesgebietes zu vertreten". Die von der Klägerin beanstandeten Äußerungen seien Ausdruck der Meinungsbildung innerhalb der Kammer und des DIHK und beruhten auf Beschlüssen der entsprechenden Gremien. Inhaltlich seien sie gedeckt von der Aufgabe der Gesamtinteressenvertretung der gewerblichen Wirtschart und stellten auch dann keine Aufgabenüberschreitung dar, wenn durch die Mehrheitsvoten einzelne Mitgliederinteressen überstimmt würden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit es den Antrag zu 1., die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu erklären, betrifft, ist schon fraglich, ob die Klage zulässig ist. Die Klägerin, als Pflichtmitglied bei der Beklagten, hat zwar einen Anspruch darauf, dass die Körperschaft, der sie als Mitglied angehört, ihren gesetzlichen Aufgabenbereich nicht überschreitet (dazu siehe unten zu 2.)

Ein Anspruch darauf, dass diese Körperschaft keinem Dachverband beitritt, ist daraus jedoch nicht herzuleiten. Über einen solchen Zusammenschluss entscheiden die Körperschaften selbst. Falls dieser Dachverband seinerseits seinen gesetzlichen Aufgabenbereich überschreitet, kann auch insoweit ein Unterlassungsanspruch gegeben sein. Das kann jedoch dahinstehen, weil eine solche Überschreitung des der Industrie- und Handelskammer zugewiesenen Aufgabenbereichs nicht vorliegt. Sie nimmt damit auch kein unzulässiges allgemeinpolitisches Mandat wahr.

2. Die Klage, soweit sie darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verpflichten, die mit dem Klageantrag zu 2. bezeichneten Aussagen künftig zu unterlassen, ist als allgemeine Leistungsklage in Form einer Unterlassungsklage zulässig, aber unbegründet, weil die Beklagte ihren Aufgabenbereich nicht überschritten hat. Zwar kann das einzelne Kammermitglied grundsätzlich mit einer Unterlassungsklage verhindern, dass die Industrie- und Handelskammern über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werden.
Vgl. st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urteil vom 19. September 2000 -1 C 29.99 -,
BVerwGE 112, 69 m.w.N.; Urteil vom 21. Juli 1998 -1 C 32.97 -,
BVerwGE 107,169; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 A 4281/02 -.

Der Anspruch ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, wonach das  Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch davor schützt, durch Zwangsmitgliedschaft von "unnötigen" Körperschaften in Anspruch genommen zu werden. Die Errichtung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und die Inanspruchnahme der Pflichtmitglieder setzt voraus, dass dies zur Erfüllung legitimer öffentlicher Aufgaben erfolgt, dazu geeignet und erforderlich ist und die Grenze der Zumutbarkeit wahrt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1998 -1 C 32.97 -, a. a. 0.

 Überschreitet eine Körperschaft ihren gesetzlichen Aufgabenbereich, greift sie  ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG ein. Ein Pflichtmitglied einer Industrie- und Handelskammer hat daher grundsätzlich das Recht, den öffentlich-rechtlichen Verband im Wege der  Unterlassungsklage in Anspruch zu nehmen, Handlungen zu unterlassen, die nicht mit dem gesetzlichen Aufgabenprofil dieses Verbandes in Einklang stehen; denn  ein Verband mit Pflichtmitgliedschaft darf sich nur insoweit betätigen, als ihm auch  der Gesetzgeber ein Betätigungsfeld eröffnen darf. Äußerungen in Bereichen, die  nicht zum Aufgabengebiet des Verbandes gehören und insoweit als  "allgemeinpolitisch" einzustufen wären, hätten zu unterbleiben.
Vgl. VG Amsberg. Urteil vom 8. November 2000 -1 K 2473/99 - m.w.N.

Der Aufgabenbereich der Industrie- und Handelskammern ergibt sich aus § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Industrie- und Handelskammern das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Nach § 1 Abs. 2 IHKG können sie Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen.

Die Wahrnehmung des "Gesamtinteresses" der Gewerbetreibenden bringt es unter Umständen mit sich, dass dies dem wirtschaftlichen Interesse eines einzelnen Gewerbetreibenden nicht gerecht wird. Das ist allerdings unschädlich. Denn welche Prioritäten eine Industrie- und Handelskammer bei ihrer Abwägung der widerstreitenden Interessen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sieht, steht in ihrem Ermessen.
Vgl. Frentzel, Jäckel, Junge, Kommentar zum Industrie- und
Handelskammergesetz, 6. Aufl., § 1 Rdnr. 6 ff.

Die Feststellung dieses Gesamtinteresses setzt nach einer Ermittlung der Einzelinteressen deren Abwägung und Ausgleich voraus. Dabei können wirtschaftspolitische Prioritäten gesetzt und in diesem Rahmen "optimale Lösungen" gesucht werden, wobei die wirtschaftlich orientierte Hauptzwecksetzung verfolgt werden darf.

Diese Feststellung des "Gesamtinteresses" erfordert einen Meinungsbildungsprozess innerhalb der Körperschaft, keineswegs aber immer eines formalen Beschlusses.
Vgl. Frentzel, Jäckel, Junge, § 1 Rdnr. 11 a. a. 0.

Bei dieser Meinungsbildung innerhalb der Industrie- und Handelskammer kann es auf Grund der wirtschaftlichen Grundausrichtung häufig zu divergierenden Auffassungen kommen, und eine Stellungnahme auch im Widerspruch zu den Interessen eines bestimmten Mitgliedes stehen und sich auch leicht mit den speziellen Brancheninteressen decken.

Die Äußerungen, deren Unterlassung die Klägerin mit ihrem Klageantrag begehrt, sind nicht als allgemeinpolitisch zu werten, weil sie einen nachvollziehbaren und unmittelbaren Bezug zu den von der Beklagten vertretenen Wirtschaftszweigen haben. Die Aussagen stellen alle eine Bewertung dar, die sich gegen eine Bevorzugung alternativer Energien, dem Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie und die daraus folgenden Klimaschutzprogramme der Bundesregierung und den Folgen aus der Umsetzung des Kyoto-Protokolls ergeben. Sie sind deshalb nicht als allgemeinpolitisch zu werten, weil sie einen nachvollziehbaren und unmittelbaren Bezug zu den von der Beklagten vertretenen Wirtschaftszweigen haben. Die Kehrseite der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien ist zwangsläufig die weniger umfassende Berücksichtigung der traditionellen Energiebeschaffung. Dazu gehört auch die Nutzung der Kernenergie. Folge dieser Bewertung durch die Industrie- und Handelskammer ist es, Bedenken gegen den aktuellen Klimaschutz, der zu Einschränkungen in der traditionellen Energiebeschaffungs- oder Verwertungspolitik führen wird, zu begrenzen. Dieselbe Grundlage hat die Ablehnung der Umsetzung des Kyoto-Protokolls. Grundsätzlich ist aber nicht auszuschließen, dass Stellungnahmen, die von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung sind auch einen allgemein politischen Bezug haben können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6 C 10.98 - NWZ 2000, 323
OVG NRW, Beschluß vom 30. Juli 2001, 4 A 2473/99

Der Inhalt dieser Stellungnahmen wurde in den Versammlungen der Industrie- und  Handelskammern sowie dem DIHK abgewogen und teilweise durch Beschlüsse festgelegt. Dem Abwägungsgebot ist damit hinreichend Rechnung getragen. Die Äußerungen haben insgesamt keinen bloßen allgemeinpolitischen Inhalt, sondern sind eine grundsätzliche Darstellung der Auffassung im Interesse der gesamten Energiewirtschaft. Die Beklagte ist nicht nur berechtigt, sondern - auch im Verhältnis zu den von ihr ebenfalls vertretenen anderen Energielieferern - sogar verpflichtet, die Interessen der anderen Branchen zu berücksichtigen. Eine unmittelbar auf die vertretenen Branchen bezogene Interessenwahrnehmung der Beklagten ist grundsatzlich nicht allgemeinpolitisch.
Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 30. Juli 2007 - 4 A 5691/00 -,
nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 30. Juli 2001 4 A 5691/00 -.

Ob die im Rahmen ihres Aufgabenbereichs abgegebene Stellungnahme der Beklagten inhaltlich zutreffend ist, ist mit Blick auf die allein maßgebende Frage nach einer Aufgabenüberschreitung vom Gericht nicht zu beurteilen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung...
aktualisiert am 17.06.2009 http://wilfriedheck.de