Verfassungsbeschwerde
eingereicht:
Aluminiumproduzenten ziehen vor Bundesverfassungsgericht TradeNews
Emissions, Freitag, 9. September 2005 | Nr. 18
Der Emissionshandel soll erneut auf den Prüfstand. Diesmal kommt der Vorstoß von Unternehmen, die selbst nicht unmittelbar vom Emissionshandel betroffen sind aber unter seinen Auswirkungen leiden: Fristgerecht haben die deutschen Primäraluminiumhersteller Corus Aluminium Voerde GmbH, Hamburger Aluminium-Werk GmbH, Hydro Aluminium Deutschland GmbH und TRIMET Aluminium AG vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten eingelegt. Aus Sicht der Unternehmen führt die nationale Umsetzung des Ende 2004 in der EU eingeführten Emissionshandels zu gravierenden Wettbewerbsverzerrungen für energieintensive Betriebe. Die Beschwerde der Aluminiumhütten richtet sich gegen das am 31. August 2004 erlassene Zuteilungsgesetz (ZuG 2007) für die erste Handelsperiode 2005 bis 2007. Wie die Aluminiumhütten in ihrer Beschwerde darlegen, hat die Einpreisungspraxis der Stromerzeuger für Unternehmen mit hohem Stromverbrauch eine „erdrosselnde Wirkung". Diese Entwicklung sei für die Bundesregierung vorhersehbar gewesen und beruhe auf einem Fehler des Zuteilungsgesetzes. Die Frage, warum das ZuG mit diesem Systemfehler in Kraft getreten ist, lässt sich laut Raimund Körner von Mock-Rechtsanwälte Berlin schwer beantworten. Nach Ansicht des Juristen, der die Beschwerde für die Aluminiumproduzenten formuliert hat, liegt dies zum einen am hohen Zeitdruck, mit dem das Gesetz umgesetzt wurde, zum anderen an der Komplexität des Problems und daran, dass „durch das ZuG nur die unmittelbaren Adressaten konsensual zufriedengestellt wurden, die direkt vom Emissionshandel betroffen sind". Die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht soll nun dazu beitragen, diesen Fehler zu korrigieren. „Die Richter können feststellen, dass eine Grundrechtsverletzung vorliegt und haben dann ein weites Ermessen, welche Folgen daran zu knüpfen sind - von der Nichtigerklärung einzelner Bestimmungen bis zur Aufgabe an den Gesetzgeber, innerhalb einer Übergangsfrist Maßnahmen zur Beendigung des Grundrechtsverstoßes einzuleiten", erläutert Körner, der rund zwei Monate an der 70 Seiten starken Verfassungsbeschwerde gearbeitet hat. Wettbewerbsfähiges Strompreisniveau wird angestrebt Die Beschwerdeführer wenden sich nach seinen Angaben ausdrücklich nicht gegen Kyoto oder den Klimaschutz, auch die Nichtigerklärung des ZuG als Ganzes sei nicht Zielrichtung der Beschwerde. „Der Gesetzgeber hat Maßnahmen zu ergreifen, die eine Einpreisung der Opportunitätskosten verhindern; welche konkret, liegt in seinem Ermessen", erläutert Körner. Die Fehlentwicklung liegt aus Sicht der Primäraluminiumerzeuger, die sich in ihrer Außenkommunikation vom Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM) Martin Kneer vertreten lassen, „allein im Verantwortungsbereich der Bundesregierung". Der nationale Gesetzgeber habe bei der Umsetzung der europäischen Handelsrichtlinie ausreichend Spielräume zu einer wettbewerbsgerechten Lösung gehabt, ist Kneer überzeugt. Raimund Körner weist in seiner Begründung der Verfassungsbeschwerde unter anderem auf zehn Seiten darauf hin, dass die Einpreisung der CO2-Zertifikatekosten in den Strompreis für die Bundesregierung schon lange „vollständig voraussehbar" gewesen sei. In jeder Verbände-Anhörung seien die Regierungsvertreter vor dem Problem der Opportunitätskosten gewarnt worden. Die WVM als Spitzenorganisation der Leicht- und Buntmetallindustrie sieht in der Verfassungsbeschwerde einen wichtigen Beitrag, um das „im europäischen Maßstab völlig untragbare Strompreisniveau in Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu gestalten." Die Aluminiumhütten machen in ihrer Beschwerde außerdem einen „Vertrauensbruch" geltend. Die Branche unterliegt nicht direkt dem Emissionshandel, sondern hat sich im Rahmen freiwilliger Selbstverpflichtungen um die Minderung der Klimagas-Emissionen bemüht und die vereinbarten Reduktionsziele nach Angaben Kneers sogar deutlich übererfüllt. Im Rahmen der Selbstverpflichtung der Industrie hatte die Bundesregierung zugesichert, dass den beteiligten Anlagenbetreibern durch den Emissionshandel keine Nachteile entstehen. „Jetzt werden die Unternehmen über die Einpreisungspolitik der Kraftwerksbetreiber doppelt mit den Kosten für den Klimaschutz belastet", sagt der WVM-Hauptgeschäftsführer. Die Beschwerdeführer rechnen nach seinen Aussagen mit einer zügigen Behandlung ihrer Klage, da die Situation sich „existenziell bedrohlich" entwickelt habe. Dies belege auch die Ankündigung des Bundeskartellamtes, einem Missbrauchsverdacht gegen die Stromerzeuger nachzugehen. Eile sei auch geboten, da eine Klärung für die bevorstehende gesetzliche Ausgestaltung der zweiten Handelsperiode in den Jahren 2008 bis 2012 notwendig sei. Kneer ließ im Gespräch durchblicken, dass die starre Front der Stromerzeuger augenscheinlich langsam ins Wanken gerät. „Ich will nicht konkreter werden, weil ich dadurch Verhandlungen gefährden würde", bestätigt der WVM-Hauptgeschäftsführer Gerüchte über flexiblere Preisgestaltung bei den Energieerzeugern. Denn eigentlich sind Aluminiumproduzenten für Stromlieferanten nahezu ideal Kunden: Die konstante Abnahme sichert eine gleichmäßig hohe Grundauslastung, die zu relativ günstigen Herstellungskosten bereitgestellt werden kann. Silvia Rausch-Becker |
06.03.2007 |