Dipl.-Ing. Eberhard Wagner
D - 64625 Bensheim, den 10.12.2006
Odenwaldstr. 10
Frau
Andrea Ypsilanti MdL
PF 5280
65042 Wiesbaden
Ihr Schreiben vom 24. November 2006, SPD Energie-Programm
Werte Frau Ypsilanti,
sehr erfreut war ich über Ihren Brief. Diesen werte ich als eine
für mich überraschende Wertschätzung.
Leider sind Sie nicht auf den Inhalt meines Briefes/Mails eingegangen.
Er enthält einen Hinweis zu den Windkraft-Tatsachen, genauer
gesagt zu den (brutalen) Schwächen dieser Energienutzung, die Sie
offensichtlich nicht kennen. In Ihrer Position muss das auch nicht
unbedingt sein. Nebenbei: Der Sachverhalt wurde dem
Bergsträßer Anzeiger als Leserbrief angeboten, als Replik zu
einem Leserbrief aus der grünen Ecke. Der Inhalt hat den
Redakteuren offensichtlich nicht gemundet; er wurde nicht abgedruckt.
Ich habe diesbezüglich einige negative Erfahrungen machen
müssen. Der SPD und den Grünen mag das passen. Diese
Vorgänge zeigen die besondere Art der Pressefreiheit.
Ich habe mich natürlich mit dem zugesandten SPD-Programm befasst.
Frau Ypsilanti, mit welchen "Experten" haben Sie sich in dieser Sache
eingelassen? Studien/Programme derartiger "Qualität" sind mir seit
etwa 25 Jahren bekannt. Es sind eigentlich nur "Mengenstudien" -
nur Betrachtung der Kilowattstunden (kWh) und nicht der Kilowatt (kW) -
und zwar schwache. Die besondere Problematik der Sicherstellung der
Stromversorgung wird regelmäßig ausgeblendet. Zu quasi jeder
Sekunde muss ein Gleichgewicht bestehen zwischen Kraftwerks-Leistung
(kW) und Leistung (kW), die von den Verbrauchern angefordert wird.
Den aufgezeigten Weg, diese Schwierigkeit durch ein "dezentrales
Netzmanagement" (Seite 17) beherrschen zu wollen, noch dazu mit der
beispielhaften Nennung, wie im ländlichen China, kann keiner (bis
auf die vier Studienverfasser) ernst nehmen. Dieses Management findet
doch bereits seit Jahrzehnten statt. Es sind die sog. Lastverteiler.
Welchen Problemen diese ausgesetzt sind, hat hinlänglich die
Versorgungsstörung am 4.11.2006 gezeigt. Wie die "dezentralen
Energie-Philosophen" - man könnte auch sagen "Voodoo-Energetiker"
- künftig tätig werden wollen, bleibt das Geheimnis Ihrer
Experten. Zum Thema Speicherkraftwerke und Wasserkraft wären
längere Ausführungen notwendig.
Nun noch einige Kommentierungen zum Programm:
Seit Anfang 2006 ist es möglich, sich
Viertelstunden-Leistungswerte der Windstromproduktion aller Anlagen in
Deutschland zu beschaffen. Im Rahmen der Abwicklung des EEG werden
diese benötigt. Ein Beispiel, den Monat Oktober 2006, habe
ich beigefügt. Sie können erkennen, dass nicht wenige Werte
nahe an der Nulllinie liegen (jeder Farbpunkt ist ein Leistungswert,
für jeden Tag werden 96 Werte ermittelt, je nach den
Windverhältnissen können viele Punkte übereinander
liegen). Das bedeutet eben auch, einen einigermaßen sicheren
Leistungsbeitrag vermag die Windkraft nicht zu erbringen (Inhalt meines
nicht abgedruckten "Leserbriefes").
Machen Sie bitte Ihren Experten Scheer darauf aufmerksam, er solle doch
mit seiner absurden Behauptung aufhören: wenn der Windstrom im
Norden nicht reicht, nehmen wir eben Windstrom aus dem Süden. Das
Diagramm zeigt quasi totale Flauten für ganz Deutschland! Das wird
auch so bleiben, auch mit Offshore-Anlagen, wenn diese umfangreich
kommen sollten, woran ich zweifele.
Das Stichwort Offshore ist dazu angetan, den Hinweis im Programm (Seite
15) auf Landschaftsgewinne durch Entfall der Kraftwerke Biblis und
deren Netzanbindung, zu diskutieren. Machen Sie doch bitte Ihre
Experten auf die Dena-Studie (Windkraft, im Einvernehmen mit der
Windkraftbranche entstanden!) aufmerksam. Dort wird der erhebliche
Bedarf zusätzlicher Hochspannungsleitungen dargelegt. Und die
vorgesehene Windkraftleistung in Nord- und Ostsee, würde
große Verbindungen von Nord nach Süd erzwingen.
Geradezu kriminell erscheint mir die Forderung, Windanlagen an
Verkehrswegen platzieren zu wollen. Es gibt genügend Vorfälle
mit abgerissenen Flügeln, Eisabwurf (mehr als 200 m),
Umstürze und Gondelbrände (z. B. mindestens 8 Stunden
Sperrung der BAB im Raum Paderborn). Die Windkraft hat ihren Gau noch
zu erwarten. Werden alle Anlagen stillgelegt, wenn ein abgerissener
Flügel ein Auto oder Bus (noch dazu mit Kindern) ins Verderben
reißt?
Ihr Experte Traube ist mir auch aus persönlichen Disputen bekannt.
Das Thema Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist wohl sein besonderes
Hobby. Die Bereitstellung von Wärme ist überhaupt kein
Problem! Aus jedem Wärmekraftwerk kann man Wärme auskoppeln.
Man muss nur buchstäblich an einer geeigneten Stelle der Turbine
ein Loch bohren und Dampf abzapfen. Dieser Dampf fehlt natürlich
dann zur Stromerzeugung. Man bekommt also nichts geschenkt. Eine
technisch andere Sache ist die KWK mit motorischen Anlagen, auch mit
Gasturbinen (würde hier zuviel Text beanspruchen). Der Einfluss
der Brennstoffkosten wäre zu beachten, gleich ob es Erdgas oder
Biogas ist.
Die KWK zieht ihren generellen energetischen Vorteil nur aus der Abgabe
von Wärme. In Zeiten ohne Wärmebedarf (Sommer) ist die KWK
(Anlage) insoweit wertlos. Diese Kraftwerke haben dann die Eigenschaft
normaler Kraftwerke. Auch ein vergoldetes Schild "KWK-Anlage",
ändert an diesem Tatbestand nichts. Der Transport von
Fernwärme ist das (wirtschaftliche) Problem. Im Vergleich zum
Erdgas ist es ein Unterschied, ob man zwei warme/heiße
Rohrleitungen benötigt oder eine kalte (Gas). Übrigens, das
Kernkraftwerk Stade war eine KWK-Anlage. Jahrzehnte wurde sinnvoll eine
Saline mit Wärme versorgt. Mein Leserbrief dazu, wurde abgewiesen.
Die Kenntnis typischer Kennwerte scheint auch nicht die Stärke
Ihrer Experten zu sein. Auf Seite 15 wird einer 4,5 MW Windanlage die
Erzeugung von 10 Mio. kWh unterstellt. Das ergibt eine Ausnutzungsdauer
von 2.222 Stunden pro Jahr. Diese Ergiebigkeit erreichen Anlagen an der
Küste nur in besonders windreichen Jahren. In Hessen sind Werte
bis 1.200 Stunden üblich (u. a. Studie Prof. Hartkopf, TU
Darmstadt, Anfang der 1990 Jahre). Die Tendenz ist eher nach unten
gerichtet (viele windschwache Jahre). Mit dieser geringen Ausnutzung
kommen Windanlagen bereits in den Bereich der Photovoltaik. Die Nutzung
der Windkraft südlich einer Linie von Trier bis Bayreuth ist
generell mangelhaft, d. h. unwirtschaftlich auch mit den
EEG-Subventionen.
Wert wäre auch, sich über die wirtschaftlichen
Verheißungen des Programms auszulassen. Es ist eine Mär, den
Regenerativen auch mittelfristig wirtschaftliche
Konkurrenzfähigkeit attestieren zu wollen. Seit etwa 15 Jahren ist
zu hören, dass die Wirtschaftlichkeit von regenativen
Stromerzeugungs-Techniken in 15 Jahren zu erwarten sei. Diese 15 Jahre
sind offensichtlich eine neue energetisch-ideologische Naturkonstante.
In diesem Sinne sind auch bei der Reichweite-Diskussion von
Energierohstoffen - seit 40 Jahren wird die Reichweite mit 40 Jahren
beziffert - als ebensolche Naturkonstante zu werten. Das zum Thema
Endlichkeit in Ihrem Anschreiben.
Ihre Experten müssten schon erklären, warum die EEG-
Vergütungssätze in den letzten Jahren immer wieder
erhöht und keinesfalls vermindert worden sind. Die Strompreise
werden allein dadurch und mit Ihrem Programm gewaltig steigen.
Überrascht hat mich zu diesem Belang die SPD-Veranstaltung
"Strompreise" am 13.11.2006 in Bensheim (mit P. Staats. Müller).
Einige Genossen haben nämlich auf die "sozialen" Probleme hoher
Strompreise hingewiesen. Also, wo ist Ihr soziales Gewissen?
Sie, SPD-Hessen, werden auch kaum die Rechtslage "Liberalisierter
Strommarkt/Wettbewerb" verändern können. Ihr Programm
verheißt eigentlich Kommunismus pur. Ich dachte, wir hätten
das überwunden. Allerdings komme ich Ihnen bei diesem Thema
entgegen. Die Liberalisierung ist eine Totgeburt. Was hat man
außer mehr als 100.000 Arbeitslosen in dieser Branche erreicht.
Nichts. Der Regulierungswahnsinn wird immer größer. Von
Wettbewerb kann doch keine Rede mehr sein. Es war eben irrig, zu
meinen, jetzt machen wir Wettbewerb, den EVU zeigen wir mal, wo der
Hammer hängt. Warum hat sich diese Schieflage entwickelt? Der
Strom ist nun mal eine besondere Sache, leitungsgebunden und weitgehend
nicht speicherfähig. Wenn die Politik und die Ideologie sich
über die Physik hinwegsetzen, kann das nur schief gehen. Es gibt
nun mal Bereiche, bei denen ein freier Wettbewerb
grundsätzlich unpraktikabel und gefährlich ist. Ich
wünschte mir sehr den Weg zurück in geschlossene
Versorgungsgebiete, natürlich mit scharfer Aufsicht. Dieses System
hatten wir, nur mit schwacher, politisch-ideologisch geprägter
Aufsicht. Auch bei der Bahn, Wasserversorgung, Telefon Festnetz, Post,
Flugaufsicht sehe ich das so. Bei der Privatisierung ist doch nur
Rosinenpickerei zu erkennen. Haben Sie je einen Briefkasten oder eine
Telefonzelle der neuen "Mitwettbewerber" gesehen?
In Ihrem Anschreiben erwähnen Sie, dass für Sozialdemokraten
die Entscheidung nicht zwischen Pest (Kernenergie) und Cholera (fossile
Energien) gefällt werden sollte. Sie werden mit diesem Programm
Pest (höchste Strompreise) und Cholera (völlig unsichere
Stromversorgung) bekommen. Außerdem verheißt das Programm
eine weitere gigantische Natur- und Landschaftszerstörung. Vom
zukünftigen Wohlstand (Ihre Formulierung) wird keine Rede sein
können.
Jede Passage Ihres Programms könnte ich kommentieren, meist nicht
zur Ihrer Freude. Aber, es würde eine Zumutung sein, Sie mit
vielseitigen Ausführungen zu langweilen. Vorstände wollen nur
eine Seite.
Wegen dieser grundsätzlichen SPD-Programmatik werde ich mir
erlauben, diesen Kommentar meinem Bekanntenkreis und der
konkurrierenden Politik zur Kenntnis zu geben - im Sinne eines nicht
gedruckten Leserbriefes.
Mit sehr freundlichem Gruß
Eberhard Wagner (parteilich ungebunden)
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