Frankfurter Allgemeine Zeitung,
6. September 2006 - Druckausgabe
Weniger Gelb
Ein Schädling in Rapsfeldern trotzt den Spritzmitteln
Leuchtend gelbe Rapsfelder sind aus dem Landschaftsbild
nicht mehr wegzudenken. Sie sind längst nicht mehr bloße
Farbtupfer, sondern oft flächendeckende Anstriche. Denn im-merhin
ist Deutschland der größte Rapsproduzent Europas. Innerhalb
von eineinhalb Jahr-zehnten hat sich die Anbaufläche hierzulande
verdoppelt. Sie bewegt sich auf eineinhalb Millionen Hektar zu,
verheißt doch Rapsöl den Landwirten einigermaßen
sichere Einkünfte. Aber nun hat sich die Natur störend
zurückgemeldet, und zwar in Gestalt eines kleines Insekts, das
für großes Kopfzerbrechen sorgt. Zwei Millimeter ist der
Rapsglanzkäfer nur lang, aber weil er in Massen
auftritt, herrscht vielerorts Alarm. Der Ruf nach einer
effizienteren Schädlingsbekämpfung wird laut, und hierbei
hat man eines im Blick: Insektizide, die den ungelieb-ten Käfer in
seine Schranken verweisen. Was hierbei an Forderungen erhoben wird,
zuletzt bei einem Fachgespräch der Biologischen Bundesanstalt
für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig, ist brisant.
Es dürfte den mühsam errungenen und aufrechterhaltenen
öko-logischen Frieden zwischen Naturschützern, Landwirten und
der agrochemischen Industrie auf die Probe stellen. Denn zum einen wird
die massive Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln
angemahnt, und zum anderen taucht hierbei sogar das
konfliktträchtige Reizwort "Organophosphorsäurehaltige
Insektizide" auf.
Gegenwärtig greift man in der Landwirtschaft auf
sogenannte Pyrethroide zurück, um die mitunter schier endlos
erscheinenden Rapsfelder vor gefräßigen Insekten zu bewahren
- der ökologische Rapsanbau fristet ein Schattendasein.
Pyrethroide sind die einzigen regulär zuge-lassenen Mittel zur
Bekämpfung des Rapsglanzkäfers. Diese einem natürlichen,
in Chrysanthemen enthaltenen Insektizid nachempfundenen
Substanzen wurden einst überschwenglich als hochwirksame und
umweltfreundliche Präparate gepriesen. Doch inzwischen macht sich
Ernüchterung breit. Das liegt nicht zuletzt an der zunehmenden
Resistenz bei den Schädlin-gen. Erste Hinweise, daß der
Rapsglanzkäfer weniger sensibel auf die Substanzen reagiert, gab
es zwar schon vor rund fünf Jahren. Das wurde aber, wie Udo
Heimbach von der BBA erläutert, „zu Beginn noch nicht als
kommendes Problem erkannt beziehungsweise aner-kannt". So konnte der
Rapsglanzkäfer in diesem Jahr, ungeachtet der Pyrethroide, auf
rund 200.000 Hektar Anbaufläche erhebliche Schäden anrichten.
Die Ernteverluste reichten von 20 bis 100 Prozent. Auch ein nicht zu
den Pyrethroiden zählendes Mittel mit dem idyllischen Namen
Biscaya, für das eine begrenzte Notzulassung erteilt wurde,
vermochte die gefräßigen Sechsbeiner nicht immer in die Knie
zu zwingen. Kein Wunder, daß aus der Landwirtschaft der Ruf nach
besser wirksamen Insektiziden erscholl. Ein Ruf, den man beim
Industrieverband Agrar, in dem 50 Hersteller von Agrochemikalien
zusammengeschlossen sind, nicht allzu ungern vernommen haben wird: "Die
Bedürfnisse unserer Kunden sind die treibende Kraft hinter allen
unseren Aktivitäten."
Um die Rapsbauern im kommenden Jahr besser zu wappnen, will die
Industrie mehrgleisig agieren. Zu den Pyrethroiden soll sich zum einen
das Thiacloprid ("Biscaya") gesellen, ein Mittel, das schon im Obst-
und Gartenbau angewendet wird. Zum anderen will man
Orga-nophosphorsäure-Präparaten ein Comeback bei der
Anwendung gegen den Rapsglanzkäfer ermöglichen. Bis zum Jahr
2002 gab es noch entsprechende Zulassungen für zwei solche
Pro-dukte. Die Industrie hat diese Wirkstoffe gegenüber der
zuständigen EU-Behörde nicht verteidigt, so daß die
Vertriebsgenehmigung in Deutschland widerrufen werden mußte.
Diese auch als Phosphorsäureester bezeichneten Wirkstoffe - ein
bekannt-berüchtigtes Produkt ist das E 605 - haben ihre
Tücken. Sie sind, abhängig von der Menge, giftig für
Warmblüter einschließlich des Menschen, und den Bienen
bekommen sie ebenfalls nicht sonderlich gut, zu-mal sie schon vor der
Blüte angewendet werden müssen. Daß man nun wieder auf
sie zurückgreift, kann als Offenbarungseid aufgefaßt
werden. Insektizide mit neuartigem Wirkprinzip zu entwickeln und - oft
gegen Widerstände - auf den Markt zu bringen, ist überaus
aufwendig, und immer schwebt das Damoklesschwert der
Resistenzentwicklung über den Produkten. Da wächst die
Versuchung, den Köcher wieder mit dem einen oder anderen
bewährten Giftpfeil zu
bestücken.
R.W.
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